Gedichte von Bert Brecht

 

Zufluchtsstätte

Ein Ruder liegt auf dem Dach. Ein mittlerer Wind
Wird das Stroh nicht wegtragen.
Im Hof für die Schaukel der Kinder sind
Pfähle eingeschlagen.
Die Post kommt zweimal hin
Wo die Briefe willkommen wären.
Den Sund herunter kommen die Fähren.
Das Haus hat vier Türen, daraus zu fliehn.



Durch die Kammer ging der Wind

Durch die Kammer ging der Wind
Blaue Pflaumen fraß das Kind
Vor es seinen weißen Leib
Hingab still zum Zeitvertreib.
 
Doch zuvor bewies sie Takt
Denn sie wollte ihn nur nackt
Einen Leib wie Aprikosen
Vögelt man nicht in den Hosen.
 
Wirklich bei dem wilden Spiel
War ihr keine Lust zuviel.
Danach wusch sie sich gescheit:
Alles hübsch zu seiner Zeit.



Liebe Marie, Seelenbraut

Liebe Marie, Seelenbraut:
Du bist viel zu eng gebaut.
Eine solche Jungfernschaft
Braucht mir zu viel Manneskraft.
 
Ich vergieße meinen Samen
Immerdar schon vor der Zeit:
Wohl nach einer Ewigkeit
Aber lange vor dem Amen.
 
Liebe Marie, Seelenbraut:
Deine dicke Jungfernhaut
Bringt mich noch zur Raserei.
Warum bist du auch so trei?
 
Warum soll ich, sozusagen:
Nur weil du lang sitzenbliebst
Grade ich, den du doch liebst
Mich statt einem andern plagen?!



Baals Lied

Hat ein Weib fette Hüften, tu ich sie ins grüne Gras.
Rock und Hose tu ich lüften, sonnig - denn ich liebe das.
 
Beißt ein Weib vor Ekstase, wisch ich ab mit grünem Gras
Mund und Biß und Schoß und Nase: sauber - denn ich liebe das.
 
Treibt das Weib die schöne Sache feurig, doch im Übermaß
Geb ich ihr die Hand und lache: freundlich, denn ich liebe das.



Vom ertrunkenen Mädchen

1
Als sie ertrunken war und hinunterschwamm
Von den Bächen in die größeren Flüsse
Schien der Opal des Himmels sehr wundersam
Als ob er die Leiche begütigen müsse.
 
2
Tang und Algen hielten sich an ihr ein
So daß sie langsam viel schwerer ward.
Kühl die Fische schwammen an ihrem Bein
Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt.
 
3
Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauch
Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in Schwebe.
Aber früh ward er hell, daß es auch
Noch für sie Morgen und Abend gebe.

4
Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war
Geschah es (sehr langsam), daß Gott sie allmählich vergaß
Erst ihr Gesicht, dann die Hände und zuletzt erst ihr Haar.
Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas.



Böser Morgen

Die Silberpappel, eine ortsbekannte Schönheit
Heut eine alte Vettel. Der See
eine Lache Abwaschwasser, nicht rühren!
Die Fuchsien unter dem Löwenmaul billig und eitel.
Warum?
Heut nacht im Traum sah ich Finger, auf mich deutend
Wie auf einen Aussätzigen. Sie waren zerarbeitet und
Sie waren gebrochen.
 
Unwissende! schrie ich
Schuldbewußt.



Über die Vitalität

1
Die Hauptsache ist die Vitalität
Die habt ihr nach Branntweingenuß
Ein gesundes junges Weib, das geht
Auf die Vitalität, weil es muß.
 
2
Die Weiber liegen zu Klumpen geballt
Die Peitsche nehmt mit ihnen ins Bett!
Doch geht’s auch im Grünen: das heißt, es geht halt
mit der nötigen Vitalität.
 
3
Die Vitalität, die schafft es auch
Beim dümmsten Engel. Die Vitalität.
So daß er euch rasend auf seinem Bauch
Um die letzten Dinge anfleht.
 
4
Die Vitalität, sie befaßt sich nicht
Mit der Seele und dem Gemüt
sie befaßt sich mehr mit dem zweiten Gesicht
Und dem Weib als Gestüt.
 
5
Der Vitalität sind die Folgen egal
Die Vitalität mach sich alles bequem.
Es gibt keine Hemmung. Zum Beispiel Baal
War als Mensch nicht angenehm.
 
(Darum bitt ich Gott früh und spät
Um Vitalität.)



An die Nachgeborenen

I
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viel Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
 
Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)
 
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
 
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
 
II
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
 
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
 
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
 
III
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
 
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
 
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein. 
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.



Lied der liebenden Witwe

Ach, ich weiß, ich dürft es nie gestehen
Daß ich zittre, wenn mich seine Hand berührt
Ach, was ist mit mir geschehen
Daß ich bete, daß er mir verführt
Ach, zur Sünde schleiften mich nicht hundert Pferde
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Wenn ich mir so gegen Liebe stemmte
Hab ich mich doch schließlich nur darum gestemmt
Weil ich weiß: steh ich vor ihm im Hemde
Bin ich ausgeplündert bis auf Hemd
Als ob er sich dann um meinen Vorwurf scherte!
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Ich bezweifle, ob er meiner wert ist
Ob es wirklich Liebe bei ihm ist?
Wenn all mein Erspartes aufgezehrt ist
Wirft er dann die Schale auf den Mist?
Ach, ich weiß, warum ich mich so wehrte:
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Hätte ich Vernunft für sieben Groschen
Hätt ich nie gewährt, um was er leider bat
Sondern hätte ihn sogleich verdroschen
Wenn er mir, wie es geschah, zu nahe trat.
Ach, wenn er sich doch zum Teufel scherte!
(Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte)



Ballade von der "Judenhure" Marie Sanders

1
In Nürnberg machten sie ein Gesetz
Darüber weinte manches Weib, da
Mit dem falschen Mann im Bett lag.
"Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten
Wäre es heute nacht."
 
2
Marie Sanders, dein Geliebter
Hat zu schwarzes Haar.
Besser, du bist heute zu ihm nicht mehr
Wie du zu ihm gestern warst.
"Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten
Wäre es heute nacht."
 
3
Mutter, gib mir den Schlüssel
Es ist alles halb so schlimm.
Der Mond sieht aus wie immer.
"Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Die Trommeln schlagen mit Macht
Gott im Himmel, wenn sie etwas vorhätten
Wäre es heute nacht."
 
4
Eines Morgens, früh um neun Uhr
Fuhr sie durch die Stadt
Im Hemd, um den Hals ein Schild, das Haar geschoren.
Die Gasse johlte. Sie
Blickte kalt.
"Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten
Der Streicher spricht heute nacht.
Großer Gott, wenn wir ein Ohr hätten
Wüßten wir, was man mit uns macht."



Liebeslied I

Als ich nachher von dir ging
An dem großen Heute
Sah ich, als ich sehn anfing
Lauter lustige Leute
 
Und seit jener Abendstund
Weißt schon, die ich meine
Hab ich einen schönren Mund
Und geschicktere Beine
 
Grüner ist, seit ich so fühl
Baum und Strauch und Wiese
Und das Wasser schöner kühl
Wenn ichs auf mich gieße.



Lied der verderbten Unschuld

beim Wäschefalten
1
Was meine Mutter mir sagte
Das kann wohl wahr nicht sein.
Sie sagte: wenn du einmal befleckt bist
Wirst niemals du mehr rein.
Das gilt nicht für das Linnen
Das gilt auch nicht für mich.
Den Fluß laß drüber rinnen
Und schnell ist’s säuberlich.
 
2
Mit elfen war ich süchtig
Wie ein Dreihellerweib.
Und wirklich erst mit vierzehn
Kasteit ich meinen Leib.
Das Linnen war schon gräulich
Ich hab’s in Fluß getaucht.
Im Korbe liegt’s jungfräulich
Wie niemals angehaucht.
 
3
Bevor ich noch einen kannte
War ich gefallen schon.
Ich stank zum Himmel, wahrlich ein
Scharlachnes Babylon.
Das Linnen in dem Flusse
Geschwenkt in sanftem Kreis
Fühlet im Wellenkusse:
Jetzt werd ich sachte weiß.
 
4
Denn als mich mein erster umarmte
Und ich umarmte ihn
Da fühlt ich aus dem Schoß und Busen
Die schlechten Triebe fliehn.
So geht es auch mit dem Linnen
So ging es auch mit mir.
Die schnellen Wasser rinnen
Und aller Schmutz ruft: hier!
 
5
Doch als die andern kamen
Ein trübes Jahr anfing.
Sie gaben mir schlechte Namen
Da wurd ich ein schlechtes Ding.
Mit Sparen und mit Fasten
Erholt sich keine Frau.
Liegt Linnen lang im Kasten
Wird’s auch im Kasten grau.
 
6
Und wieder kam ein andrer
In einem andern Jahr.
Ich sah, als alles anders war
Daß ich eine andre war.
Tunk’s in den Fluß und schwenk es!
‘s gibt Sonne, Wind und Chlor!
Gebrauch es und verschenk es:
‘s wird frisch als wie zuvor!

7
Ich weiß: noch viel kann kommen
Bis nichts mehr kommt am End.
Nur wenn es nie getragen war
Dann war das Linnen verschwendt.
Und ist es brüchig geworden
Dann wäscht’s kein Fluß mehr rein.
Er spült’s in Fetzen forten.
So wird es einmal sein.



Forderung nach Kunst

Die Gute, die dem Liebsten nichts verwehrt
Und sich ihm hingibt für den Fall des Falles
Muß wissen: Guter Wille ist nicht alles
Begabung ist’s, was er von ihr begehrt.
 
Selbst wenn da mit der Schnelligkeit des Schalles
Ihr Ichbindein sich in den Beischlaf kehrt
Er legt so viel nicht auf die Eile wert
Bei der Entleerung seines Samenballes.
 
Wenn auch die Liebe erst das Feuer schürt
So braucht sie doch, um dann zu überwintern
Durchaus auch noch den talentierten Hintern.
Mehr nämlich als ein seelenvoller Blick
(Der auch vonnöten) ist da oft ein Trick
Prächtiger Schenkel, prächtig ausgeführt.



Liebesunterricht

Aber, Mädchen, ich empfehle
Etwas Lockerung im Gekreisch:
Fleischlich lieb ich mir die Seele
Und beseelt lieb ich das Fleisch.
 
Keuschheit kann nicht Wollust mindern
Hungrig wär ich gerne satt.
Mag’s, wenn Tugend einen Hintern
Und ein Hintern Tugend hat.
 
Seit der Gott den Schwan geritten
Wurd es manchem Mädchen bang
Hat sie es auch gern gelitten:
Er bestand auf Schwanensang.



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